Kopflose Tradition

Guatemala ist ein Land voller Geschichte. Im Ort Comalapa gibt es eine ganze Mauer mit Bildern darüber. Dort erklärte man uns folgendes: Die ersten Mayas entstanden aus Maissuppe. Sie bauten eine Menge Pyramiden, sahen von der Erfindung des Rades allerdings ab. Räder gab es nur an ihrem Kinderspielzeug. Dafür erfanden sie das Basketballspiel, bei dem entweder die Verlierer oder die Gewinner durch Kopf-Abschlagen geopfert wurden – der Korb war ohnehin kleiner als der Ball, was den Spielverlauf erschwerte. Heute werden statt Köpfen an den alten Opferstätten Colaflaschen und Zigarren für die Ahnen hinterlegt. Man geht mit der Zeit.
Die Inkas hatten Keinenmörtel und Keinefenster und waren sehr stolz darauf. Die Mayas hatten nur Keinefenster, also eine Art zweitklassige Indianer. Ganz erstklassige Indianer hatten vermutlich Keinebauwerke – letztere sind auch hervorragend erhalten.
Später mischten sich die Spanier mit den Mayas. Sie fanden, so der einheimische Führer, gemeinsam Comalapa und erbauten sodann selbiges. Zuerst mussten sie jedoch die zweiköpfigen Adler vertreiben, die in die Vergangenheit und in die Zukunft sehen konnten (Ich glaube, sie hatten einfach einen Reservekopf, falls ein Ballspiel nahte). Neben den Adlern gab es in der Gegend gestreifte Jaguare mit Klumpfüßen. Während die Männer die neuen katholischen Kirchen mit Jaguaren und Geistervögeln verzierten, brachte die Mondgöttin Ichel den Frauen das Weben dabei. Sie erscheint ihnen noch heute und kennt eine Menge Muster. Leider hat sie einen leicht verirrten Geschmack: am besten, man baut alle Muster UND Farben gleichzeitig ein.
Später zerstritten sich die katholischen Kirchengemeinden und danach kam der Bürgerkrieg; eine schöne Gelegenheit, sich mal wieder gegenseitig die Köpfe abzuschlagen. Vielleicht hätten die hellsichtigen Adler erwähnen sollen, dass Comalapa doch kein so idealer Siedlungsort war. Nach zwanzig Jahren wurde das Köpfeabschlagen jedoch langweilig, und heute malen die Leute lieber Bilder. Allein in Comalapa gibt es 20 000 Maler, was beeindruckend ist, da die Stadt nur 10 000 Einwohner hat.
Die Künstler haben auf der Mauer auch die Hochzeits-Tradition dargestellt: Beim Wasserholen sucht sich der Mann die Frau aus (sie trägt das Wasser), da er sie sonst nie zu sehen bekommt. Wenn sie ihn mag, gießt sie ihm das Wasser über den Kopf. Dann spielen seine Freunde nachts ein Ständchen unter ihrem Fenster, während er seine Schüchternheit mit hellblauem Heilschnaps besiegt. Er wirft nun einen Strauß zu ihr hoch, und zum Zeichen ihrer Anerkennung gießen die Brauteltern ihm ihrerseits Wasser über den Kopf. Schließlich entführen die Freunde des Bräutigams die Braut; er fesselt und knebelt sie und bewahrt sie eine Nacht lang in seinem Haus auf. Man geht davon aus, dass das der Braut gefällt. Am nächsten Morgen müssen die Eltern einer Heirat zustimmen, da an der Jungfräulichkeit der Dame zurecht gezweifelt wird. Zur Versöhnung entsendet der Bräutigam (durch die Multi-tasking-Freunde) einen großen Brotkorb. Und in den nächsten zwanzig Jahren bekommt die – zu Beginn 15-jährige – Frau 16 bis 21 Kinder.Genug für eine Maya-Basketball-Mannschaft.