Visologie

Die Madegassen haben von zwei Dingen eine Menge: Urwald und Verwaltung.

rabiate Affen

Diese Größen verhalten sich umgekehrt proportional – je mehr der Urwald schrumpft, desto mehr wächst die Verwaltung. Wenn man bedenkt, dass vom Urwald seit Beginn seiner Rodung 90 Prozent verschwunden sind, kann man sich vorstellen, wie sehr der Verwaltungsapparat inzwischen gewachsen ist: eine Blase aus Beamten und Hilfsbeamten und Unterbeamten, die Papiere stempeln und unterschreiben und genehmigen. Es muss schließlich jeder was verdienen, und da sollte sich Deutschland mal ein Beispiel nehmen: So schafft man Arbeitsplätze!

orange ist unpraktisch

Möchte man also länger im Land bleiben, braucht man für das Visum ein Papier des Innenministeriums, des Außenministeriums, drei Papiere der Universität, die Meldebescheinigung, einen Durchschlag der Meldebescheinigung, die Geburtsurkunde und Heiratsurkunde der Großmutter, Urgroßmutter und der Katze, und natürlich Kopien von all diesen Urkunden und Kopien der Kopien.

Nach vier Wochen Aufenthalt im Land, in denen Philipp 27 Mal bei den Ämtern in Tana war, läuft leider unser vorläufiges Visum ab. Außerdem haben die Kinder Ferien, und so reisen wir in Richtung Urwald und geben in Tana auf dem Weg kurz-mal ein paar Papiere ab.

Kurz-mal ist in Tana so eine Sache.

KO

Da alle Madegassen ständig Papiere stempeln lassen müssen, sind die Straßen ab halb sieben Uhr morgens verstopft mit Autos. Darin sitzen die besagten Madegassen – und die Ausländer – füllen Dokumente aus und warten ein bis vier Stunden, bis ihr Fahrzeug beim zuständigen Amt ankommt. Damit das Warten erträglicher wird, werden die Motoren niemals abgeschaltet, die ständigen Dämpfe sorgen für eine angenehme Entrücktheit im Kopf.

Als wir beim letzten Mal – ohne Kinder – Papier beglaubigen ließen, schrieb ich es dieser Entrücktheit zu, dass in dem zuständigen Bürgermeisteramt die Beamten auf eine violett verhüllte Bühne kletterten, dort ihre Schreibmaschine und ihre Stühle aufstellten und dann einen großen Fernseher anschalteten, in dem die Herstellung von Schrauben für Autos zu sehen war.

Flauschi kurz nach Walgesang

Während die Beamten aufmerksam die Schraubenfabrikation verfolgten, stempelten sie ohne hinzusehen alle ihnen dargereichten Papiere, jeder Beamte durfte ein Papier von jedem Kunden stempeln, der letzte kassierte eine Fanatasiesumme dafür, und am Ende unterschrieb ein kleiner alter Mann, der in einer eigenen Ecke saß und bei dem man sich extra anstellen und extra bezahlen musste. Er hatte aber auch eine besonders hübsche Unterschrift.

Wie gesagt, all das muss eine Art Halluzination gewesen sein, den Dämpfen zuzuschreiben. Leider wartete ich vergebens auf den Pilz und die Raupe.

Farbwechselschalter kaputt

Dieses Mal sind wir also mit Kindern in Tana, und die Dämpfe scheinen nicht jugendfrei zu sein, den die Kinder kotzen. Wir stehen im Stau – Kind 1 kotzt im Auto auf mich. Wir übernachten zwischen den Ämtergängen in einem Hotel – Kind 2 kotzt. Wir stehen vor dem Amt. Kind 3 kotzt.

Als ich den Warteraum des Büros (zwei alte kaputte Sessel in einem dreckigen Flur) betrete, sieht die ältere Dame, die dort schon sitzt, mich pikiert an. „Sie haben da einen Fleck auf der Hose“, bemerkt sie. „So können sie hier aber nicht reinkommen.“

Familie verschollen im Wald

Na ja, während  Kind 4 kotzt, beschließt das Amt, dass es doch pro Kind und Visum gerne noch drei Stempel vom Bürgermeisteramt am anderen Ende der Stadt hätte, Wartezeit ein bis zwei Tage in der Schlange, und wir kotzen alle gemeinsam und fahren lieber in den Urwald.

Ab und zu braucht man eine Pause vom Stempeln.

Außerdem sind wir, da das Visum ja nicht bewilligt wurde, nun illegal im Land, und da ist es traditionsgemäß besser, sich im Wald zu verstecken.

Chamäleon grün auf braun ganz rechts

Tatsächlich wird es nordöstlich von Tana, nach schlappen sechs Stunden Autogeschaukel (raten Sie mal, was die Kinder machen) GRÜN. Die Bäume werden höher, das Land weniger trocken. Und wir landen versehentlich n einem Luxushotel mitten im Wald: ein ganzes Tal voller Bungalows in einem großen Garten, um das herum sich die grün bewaldeten Hügel erstrecken.

In Madagaskar kann man Krokodile, Lemuren, Chamäleons und Wald beobachten, und morgens um sechs singen im Urwald laut die … Wale. Wir sind etwas erstaunt, lauschen aber fasziniert ihren Rufen.

Das schöne Hotelessen isst zwar keiner, da ja allen schlecht ist, aber der Urwaldspaziergang führt uns, querwaldein, tatsächlich zu den Gesangslauten. Ganz still! Man muss ganz still sein! Und schleichen! Sonst verjagt man die Tiere!

Auf dem Baum, den wir schließlich finden, sitzt dann kein Wal, sondern … ein Stofftier. Schwarz weiß mit Puschelohren und Plüschschwanz. Es hat sich um einen Ast geknotet und guckt flauschig und unschuldig zu uns herunter. Wo die Wale geblieben sind, verrät es uns nicht. Aber ich habe das Gefühl, es kaut noch.

Tarnung nö keine Lust

Wir pirschen uns an einige der Flauschaffen heran, leise, leise!

Und besuchen am nächsten Tag ein anderes Stück Urwald. Dort gibt es auch Flauschaffen. Und zack! Sitzen zwei davon auf meiner Schulter. Von wegen man muss still sein und schleichen! Die Affen benehmen sich am ehesten wie unsere Katzen, sie wollen etwas zu essen, und zwar ein bisschen Dalli! Offenbar sind die Wale schon alle heute morgen.

Chamäleons gibt es ja auch hier, man zeigt sie uns in einem begehbaren Riesenterrarium: Es ist übrigens ein Gerücht, dass die Dinger die Farbe wechseln. Sie gucken an sich herunter, stellen fest, welche Farbe sie heute habe und gehen dann dorthin, wo diese Farbe ist. Manchmal. Meistens eher nicht. Wir bewundern ein gelbes Chamäleon auf einem dunkelgrünen Blatt, ein türkisfarbenes Chamäleon auf einem braunen Ast, ein schwarzes Chamäleon auf einem Stück weißer Mauer …

Nun brauchen wir nur noch die Krokodile, und die schlafen tags in ihrem Krokodilpark. Jede Woche essen sie ein ganzes Zebu auf, was sie essen, wenn man vergisst, sie zu füttern, weiß niemand. Ab und zu verschwinden Touristen …

schonkost für kotzende Kinder – Tee mit drei Kilo Zucker

Übrigens brennen im den grün bewaldeten Hügeln immer ein paar behagliche Feuerchen, ein bis drei Buschfeuer sieht man eigentlich von jedem Ort aus. Das macht sich hübsch, vor allem vor dem Sonnenuntergang. Aber keine Angst, sagt man uns, alles wird genutzt. Sie schlagen die großen Bäume im Primärwald erst ab und verbrennen den Rest dann.

Das Holz wird zu gleichen Teilen für Stempel und Dokumentenpapier genutzt.

Wir nehmen auch ein bisschen Holz aus dem Wald mit.

Auf dem Rückweg stehen wir in Tana in den Abgasdämpfen im Stau und schnitzen ein par neue Stempel. Die Kinder kotzen, und ich fülle noch ein paar Papiere aus.

Wir sind fast zu hundertprozent in Madagaskar assimiliert