Nektar und Ambrosia

In Bayern, vernehme ich mit Grausen, ist Ambrosia-Alarm. Durch den Klimawandel hat sich diese Götterspeise – eine große, grüne Pflanze – vom Olymp bis zu uns ausgebreitet, und sie ist so allergen, dass auch Nicht-Allergiker schwere Asthmaanfälle erleiden, wenn sie das Wort mehr als zweimal am Tag DENKEN. In unserem Garten wachsen eine Menge großer, grüner Pflanzen …
Ich begebe mich an den Computer und stelle erschreckendes fest: Die Ambrosia verbreitet sich so rasch, dass sie es sogar bis ins Internet geschafft hat. Sie besitzt eine eigene Seite – und ein eigenes Hotel: Hotel Ambrosia, lockt ein Link, 50 Euro Zuschuss nur für kurze Zeit! So ködert die Pflanze unschuldige Bürger. Ihre Beschreibung hört sich durchweg unsympathisch an: Sie ist stark behaart, trägt weibliche Blüten in den Achseln und besitzt stachelige Pollen einer “ründlichen” Form. (Das ist ein Wort für eine GANZ ekelhafte Form, entstanden aus “rund” und “Nase rümpfen”).
Ohne ausgebildete Blütenstände, lese ich, fällt die Ambrosia jedoch kaum auf. Diese Killer-Ausbildung erhält sie in geheimen Instituten zwischen Mai und Juni, um dann auf die Bevölkerung loszugehen. Obwohl in Deutschland bisher “wenige etablierte Ambrosiabestände bekannt sind”, steigt die Gefahr; daher gibt es Ambrosia-Meldestellen. Haben Sie also die Nachbarn im Verdacht, heimlich einschlägige Ambrosiazirkel zu besuchen, informieren Sie umgehend Herrn Schäuble! Ein großer Lauschangriff auf die Pflanze scheiterte bisher, da sie verbissen schweigt. Im Übrigen weist die Ambrosia einen gefährlichen Anteil an Sesquiterpenlaktonen auf. Beim Versuch, das Wort auszusprechen, bekomme ich einen Erstickungsanfall und begreife die Gefahr. Und dann finde ich das schrecklichste aller Photos: “Eine fast zwei Meter hohe Ambrosia wächst ungestört am Rande einer belebten Straße und verschlingt eine Sitzbank.” Verschlingt eine Sitzbank!
Noch eine schlechte Nachricht: Ambrosia-Allergiker haben gewöhnlich Kreuzreaktionen mit Gurken, Bananen und Melonen. Kommt so ein Allergiker mit Bananenpollen in Kontakt oder atmet eine Melone ein, kann das tödlich ausgehen! Doch es gibt Hoffnung: Bestellen Sie jetzt Collostrum! DAS Mittel gegen Allergien!, verkündet ein Link. Collostrum ist die Vormilch von Säugetieren, einzunehmen bei Vollmond, und wenn Sie hier Ihre Kontodaten angeben … Eine Apotheke annonciert “handverschüttelte Placenta-Nosoden”: Man schickt ein erbsengroßes Stück seiner Placenta ein; daraus machen sie Globuli. Leider besitzt meine Mutter meine Plancenta nicht mehr; so ein Ärger.
Die Ambrosiaplage hat jedoch auch gute Seiten: Erstens verursacht sie Nesselsucht. Vielleicht überfallen demnächst Tausende von Süchtigen unseren Garten, um die Brennnesseln abzugrasen? Zweitens werden aus Artemisia Malariamedikamente herstellt. Warum nicht aus Ambrosia? Es wäre doch hübsch, die Mücken niesend durch Afrika torkeln zu sehen, auf der Suche nach Schwangeren, die sie bei Vollmond in den Busen stechen können, um etwas Collostrum zu ergattern … Überhaupt: “Auch die Ambrosia”, schreibt ein naturverbundener Mitmensch, “ist ein Lebewesen mit einer Daseinsberechtigung auf unserem Planeten.” Und während die alarmierten Bayern in verdunkelten Räumen sitzen, dick in Pollenschutzgitter gewickelt und Placenta-Nosoden lutschend, gehe ich hinaus und lese unserer Ambrosia vor. Sie lauscht eine Weile stumm und beginnt dann, zu niesen. Ich glaube, die Arme ist allergisch gegen Menschen.