Was Kinder wagen

In Ingolstadt gibt es die interessantesten Geschäfte. Neben einem Schlaferlebnisstudio (“Schlaf schön mit Alex Dengler”) und einem Geschäft für Ehe-Hygiene-Artikel vermittelt ein Makler “Gebrauchte Häuser” (igitt!), und dann lande ich in einer Broterei. Sie servieren dort Butterbrote auf mundgetöpferten Porzellanbrettchen, Brot à fünfzehn Euro. Mit Käse ist es nicht ganz so günstig. Immerhin haben sie Steckdosen für Targanow, meinen treuen Laptop.
Leider sind alle normalen Tische besetzt von schicken Müttern mit trendigen Kinderwagen. Die freien Tische sind ein archeopteriktisches Fossil. Man hat das ja damals gelernt: Anfangs krochen die Tische als vierbeinige Beistelltischchen aus dem Meer. Danach kam der dreibeinige Sitz- und schließlich der einbeinige Stehtisch … die Zweibeiner hier sind das fehlende Bindeglied zwischen den letzten beiden Stadien. Entwicklungsgeschichtlich wertvoll, aber mäßig bequem.
Ich hänge mich auf eine Art lederne Klorolle, die an der Wand angebracht ist, und klappe Targanow auf. Er zeigt mir eine schwarze Scheibe. Erst, als ich den Bildschirm weiter nach unten klappe, erscheint wieder ein Bild. Ich krümme mich auf der Lederklorolle zusammen, um den Text zu sehen. Während ich schreibe, strömen noch mehr Mütter mit Kinderwagen herein. Bilde ich mir die Mütter ein? Liegt es daran, dass ich das Murmelkind gerade an meine Mutter (und ihren Kinderwagen) verliehen habe? Ich selbst kenne mich nicht aus mit Kinderwagen. Wir haben ein Kind und einen Wagen, jedoch getrennt. Sonst benützen wir ein Tragegestell. Targanow ist ebenfalls verwirrt, und ich muss ihn etwa mehr zuklappen, um das Bild zu erhalten.
“Meiner kann rückwärts auf den Knien die Treppe raufkriechen!”, sagt eine Mutter neben mir.
“Und meinen kann man in zwei Hälften zerteilen”, verkündet eine andere. Vor Schreck wird Targanows Bildschirm wieder schwarz. “Die meinen nicht die Kinder”, sage ich beruhigend und schließe ihn noch weiter. “Die sprechen von den Kinderwagen.”
Neben mir parkt eine Mutter einen Joggingkinderwagen mit Liegekorb in Handtaschengröße. Eine andere besitzt einen runden Wagen, den man im Ganzen rollt. Kinderwagen auf Spiralen hüpfen durch die Tür, Kinderwagen auf zwei Rädern und auf einem, Kinderwagen mit praktischen Schubfächern, in denen man die Väter mitführen kann und Kinderwagen mit pro-orthopädischer Ying-Yang-Krümmung.
Die Krümmung meines Rückens ist inzwischen anti-orthopädisch, denn ich habe Targanow zwangsweise noch weiter zugeklappt. Mein Kinn berührt jetzt beim Schreiben die Tischplatte. Über Targanow hinweg entdecke ich einen ferngesteuerten Kinderwagen und einen Kinderwagen, der Milch gibt. “Meiner lernt gerade sprechen!”, sagt eine Mutter.
“Was war sein erstes Wort?”, fragt eine andere.
“Selbstverstellbare wetterabhängige Ergohydraulik”, antwortet sie stolz.
Ich lege mich bäuchlings auf den Tisch, um weiter zu schreiben. Meine Finger passen kaum noch zwischen Bildschirm und Tastatur. Ein Buffet-geeigneter Minikinderwagen fährt über meine Füße, und ich spüre den Lufthauch eines vorbei fliegenden Air-Plus-Models.
Zu Hause schraubt ein Computerspezialist Targanow auf. “Kein Wunder, dass der Bildschirm einen Wackelkontakt hat”, sagt er. “Zwischen den Kontakten hat sich ein Kleinst-Kinderwagen verfangen.”
“Können Sie nicht unten ein paar Rollen an Targanow schrauben?”, schlage ich vor. “Dann stecke ich unser Kind einfach ins CD-Laufwerk zum Herumfahren … ”