Die Esoterik und ich

Bei meiner letzten Lesereise entdeckte ich im Schaufenster einer Apotheke die GU-Ratgeber “Schüssler-Salze für Katzen” und “altindische Medizin für Hunde.”
Als ich kurz darauf in einer Buchhandlung Bücher signierte, suchte ein älterer Herr mit schütterem, aber langem Haar gerade den DTV-Atlas der chinesischen Tierkreiszeichen. Er suchte ihn im Ausschnitt der Buchhändlerin und versicherte ihr, seines und ihr Tierkreiszeichen würden sicherlich gut zusammenpassen … ob sie am Abend Zeit hätte, mit ihm einen Vortrag über Auraphotographie zu besuchen? Da dachte ich, ein Blog über Die Heilenden Kräfte wäre vonnöten.
Heutzutage gehört es ja zum guten Ton, naturheilkundlich bewandert zu sein. Wenn ich erwähne, dass ich Medizin studiert habe, fragt man mich sofort: “Sicher mehr so in die naturheilkundliche Richtung?” Und wenn ich dann sage: “Nee, mehr so in die Gegenrichtung” sind die Leute bestensfalls verwundert, meistens jedoch beleidigt.
Interessant ist, dass bei uns sämtliche Heilkunden sämtliche anderer Völker verschmelzen, eine Globalisierung der Heilung, oder eine Globulisierung? Nun ist Traubenzucker prinzipiell nicht ungesund und ich befürworte das Lutschen von Globuli. Schwierig wird es, wenn man gleichzeitig mehrere Akupunkturnadeln in der Zunge hat, die den Darm in die richtige Schwingung bringen sollen, um eine Überdosis indischer Räucherstäbchen und peruanischer Amazonas-Rinde zu verdauen. Da helfen nur noch Bachblüten-Notfalltropfen, die wirken bestimmt: Sie bestehen zu 90 Prozent aus Alkohol.
Sollte man sich beim folgenden Bachblütentanz ein Bein verstauchen, drückt der Osteopath an ein paar geheime Punkte der großen Zehe – schlecht ist, wenn einem auf diese Zehe ein pendelnder Heilstein gefallen ist. Man kann dann versuchen, den Energiefluss in der Zehe wieder herzustellen, in dem man ins Schuhregal ein Feng-Shui-Mobile hängt.
Ich persönlich glaube an meinen schlechten Tagen nicht mal an Aspirin, und schon im Studium verwunderte mich ein Mitbewohner, der hinausging, wenn wir die Mikrowelle benutzten: Sie nahm ihm und dem Essen die Lebensenergie. Er besuchte Kurse im rhythmisch-Atmen (ich glaube, da ging es aber mehr um Sex) und besaß ein Gerät, welches das Duschwasser in Farbspektralquanten aufteilte. Wollpullover überließ er der reinigenden kosmischen Kraft der Sonne, statt sie zu waschen (leider entfernte die Sonne den Geruch nicht), und manchmal konnte er keine Erdbeermarmelade essen, weil die Wellen der Farbe Rot ihm in der bestehenden Sternenkonstellation einfach nicht bekamen. Auf unsere  Frage, weshalb er Schulmedizin studierte, erklärte er, er wollte den Feind kennenlernen.
Nun ist der Schulmediziner schon lange kein Feind der Naturheilkunde mehr. Die meisten Internisten besuchen Kurse im Handauflegen und lassen sich in astraler Lichttherapie oder Eigenblutanwendung schulen. So können sie den Krebspatienten endlich Heilung versprechen.
Vermutlich braucht der moderne Mensch auch sein Handy nur, um sofort einen Naturheiler anrufen zu können, wenn die Handystrahlung unerträglich wird. Immer wieder berichten Bekannte, ihr altchinesischer Arzt hätte bei ihnen dieses schreckliche Problem festgestellt, von dem sie gar nichts wussten – und es gleich geheilt. Da ist natürlich einzusehen, dass die Krankenkassen die Therapie zahlen.
Nur ich, hoffnungslos out wie immer, habe noch immer kein Handy und keinen Homöopathen. Sollten es Ihnen gehen wir mir, dann sind Sie sie nicht normal. Vielleicht sollten Sie mal zum Arzt gehen. Am besten zu einem zuverlässigen Homöoosteoakupunktaten.