Schwedische Oktoberfrische

In Schweden, dachten wir, gibt es den ganzen Tag heißen Glögg und Elche. Weit gefehlt: Es gibt gar nichts, denn die Glögg-Kneipen haben ab Oktober zu und die Elche sind nicht da. Und es ist kalt. Wir tragen seit Tagen so viele Kleiderschichten, dass wir uns gegenseitig nur noch schlecht erkennen, manchmal verwechsle ich jetzt meinen Mann mit dem Murmelkind.
Nicht einmal Cafés gibt es, in denen man sich nach den windigen Spaziergängen aufwärmen kann: Der Schwede von heute trifft sich nämlich nicht im Café, er trifft sich beim Nordic Walking, immer rund um die nächste kalte Windmühle. Oder beim Surfen bei Windstärke 13, und zwar im Minirock. Wir haben begonnen, Thermounterwäsche zu stricken, als die Tür des Ferienhauses zufriert. Da beschließen wir, zu entfliehen. Wir sprengen die Tür auf, in dem wir alle drei gleichzeitig niesen, und fahren zum nächsten geheizten Museum für zeitgenössische schwedische Designkunst. Es ist blaugelb und heißt IKEA.
„Bei Ikea“, erkläre ich meinem Mann, der noch nie da war, „gibt es immer ein gemütliches Café im Eingangsbereich.“ Ich hatte vergessen, dass wir in Schweden sind. Das Café gibt es nicht. Geheizt ist auch nicht. Stattdessen finden wir einen Automaten mit Kaffee zum Selbstzusammenbauen  (später erzählt mir eine Freundin von einem Ikea-Ersatz-Schrauben-Automaten. Wir müssen das für den Kaffeeautomaten gehalten haben. Es erklärt, weshalb man den Kaffee so stark kauen musste)
Sicher, denken wir, können wir bei der Ikea-Feinkost-Abteilung endlich Glögg kaufen. In Deutschland gibt es bei Ikea Glögg. In Schweden nicht. Hier haben sie nur deutsches Schokoladeneis. Elche haben sie keine. Wir ziehen eine achte, neunte und zehnte Schicht Pullover an und stopfen das Murmelkind in einen Superthermoanzug. Dann machen wir uns auf die Reise, hindurch zwischen Gorms und Lämpfen, Nötrösiks und Toppen, Kompjes und Sädelsören, und natürlich fällt uns ein, dass wir all diese Dinge immer schon gebraucht haben. Das Murmelkind, das sich in seinen zehn Pulloverschichten schlecht bewegen kann, rollt über den Fußboden und begegnet dort einer türkisen Giraffe mit roten Klumpfüßen, die singt, wenn man ihren Hals lang zieht. Die evolutionäre Weiterentwicklung der Elche? Als wir schließlich erschöpft an der Kasse ankommen, merken wir, dass wir nur unverkäufliche Ausstellungsexemplare eingepackt haben. „Ich husche schnell noch mal zurück“, sagt mein Mann, „und tausche die Sächen öm …“
Tja, seitdem haben wir ihn nicht mehr gesehen. Wir wohnen jetzt hinter Kasse vier, gleich neben den Hömpsen. „Mama“, sagt ein kleines Mädchen auf englisch und zeigt auf uns, „was sind denn die runden Strickmöbel da, das große und das kleine?“
„Sehen kalt aus“, antwortet die Mutter. „Sicher Frierös …“
Nein, das ist gelogen, wir haben Ikea wieder verlassen, da sie das Geschäft bis zum nächsten April dicht machen wollten. Lund, hatten wir gehört, wäre eine sehr gemütliche Stadt. Vielleicht gibt es dort offene Cafés? Nun, der Schwede ist ein erstaunliches Geschöpf: Wenn er es gemütlich haben möchte, geht er nicht in ein Café. Er geht in eine Kirche. Die sind nämlich geheizt. Dort setzt sich der Schwede an einen Ikea-Kindertisch (wirklich!) und malt mit Wachsstiften großformatige Bilder, die dann in der Krypta neben den versteinerten Mönchen als moderne Kunst ausgestellt werden. Jedenfalls in Lund. In Ystad ist die Kirche ab Oktober zu, was uns irgendwie gar nicht wundert. Wir finden wieder keine Elche und die Schweden, die es gemütlich haben wollen, im einzigen offenen Pub. Sie starren alle in eine Richtung, und ich erwarte, dort einen Fernseher vorzufinden. Nein, sämtliche Schweden starren einen blinkenden Spielautomaten an, an dem niemand spielt. Schweden muss ein sehr langweiliges Land sein. Vielleicht liegt es an diesem Mangel an Elchen.
Auf der Fähre nach Deutschland treffen wir ein anderes deutsches Paar. Sie tragen zwanzig Schichten Pullover und zwei Schneeanzüge. Sie waren im Norden. Und sie kennen sich aus in Schweden. „Warum“, frage ich zaghaft, „sieht man hier eigentlich nirgendwo Elche?“
„Elche“, sagt der Mann und rückt seinen selbstheizenden Thermoschal zurecht, „gibt es nur in Nordschweden. In Südschweden ist es ihnen zu warm.“