Schön frisch

Worüber schreibt man, wenn man über nichts schreibt? Richtig, über das Wetter.
Ich habe mal einen ganzen 600seitigen Roman über das Wetter geschrieben, vermutlich, weil mir nichts einfiel. Aber zur Zeit gibt es ausgesprochen viel Wetter, es kommt sogar in den Nachrichten. Wulf ist out, Wetter ist in. Ich warte auf die Veröffentlichung von Telefonaten zwischen Petrus und der Bildzeitung …
Anfang Januar sagten wir noch zueinander, dass man den letzten Sommer und den letzten Winter schlecht voneinander unterscheiden konnte, im Sommer war es mittelwarm und regnerisch, und im Winter war es mittelregnerisch und warm.
Aber dann fahre ich in die Schweiz, und dort packt mich meine lyrische Ader. Denn
In der Schweiz schneit´s.
Leider ist sie unbeheiz.
Es geht auch noch kürzer: In Zürich, da frür´ich …
Entschuldigen Sie, ab minus zwanzig Grad wird das Schriftstellergehirn etwas albern.
In Zürich, muss man wissen, wird man nicht für das Lesen bezahlt sondern für das Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel. Jeder Schriftsteller erhält einen hundertseitigen Plan mit Verbindungen von S-Bahn, Zügen, Bussen, Schiffen, Flugzeugen und Pferdekutschen, durchsetzt von gelben Hinweiszetteln der „Lehrpersonen“.
Bei Ankunft im Hotel erwartet einen die Organisatorin, die einem die Pläne persönlich vorliest – Deutsche sind bekanntlich nicht so helle. „Die S-Bahn bedeutet S-Bahn“, erklärt sie. „Und die gelben Zettel hier … die sind gelb.“
Auf den Zetteln stehen Dinge wie: Schulhaus ist alt und orange. Bitte an Volksküche vorbei bis unter Dachboden gehen und laut rufen.
Oder: Anschluss ist knapp. Steigen Sie ganz hinten in die Bahn. Wenn S-Bahn am Bahnhof hält, rennen Sie zurück Richtung Zürich. Nehmen Sie die Rampe unter die Erde und wenden Sie sich nach rechts. Wenn Bus schon am Abfahren, winken Sie dem Fahrer auffällig.
Dieser Dreikampf Rennen-Umsteigen-Lesen macht natürlich erst bei dichtem Schneetreiben und vereisten Bahnsteigen so richtig Spaß. Ich stelle fest, dass man, wenn man mit genügend Anlauf aufspringt, auf einem Herder-Roman bis zu sieben Meter schlittern kann. Oetingerausgaben halten die Richtung besser, fallen aber leider nach drei Metern auseinander.
Die Hektik zwischen den Lesungen wird dadurch abgemildert, dass man jeden zweiten Anschluss verpasst und dann ganz behaglich ein oder zwei Stunden wartet. Busse in der Schweiz fahren zwar selten, dafür aber nicht so oft. Einmal bin ich an einer Haltestelle festgefroren und konnte deshalb auch den ankommenden nächsten Bus nicht benutzen. Ein vorbeikommender Schweizer goss schließlich heiße Schokolade über meine Schuhe, so ging es dann.
Tja: Nur die Harten komm´in Garten. Stimmt. Die Weichen frieren bei diesen Temperaturen ein. Deshalb haben die Züge alle Verspätung.
Nachmittags setzt man sich in ein gemütliches Café, um zu arbeiten. Zürcher Cafés sind grundsätzlich überfüllt, aber keine Angst, es wird nicht zu stickig, denn die ständig wechselnde Kundschaft sorgt dafür, dass die Tür nach draußen alle zwei Minuten weit offen steht. Ich sitze in drei Pullovern, Daunenmantel, Schal und Mütze vor dem Computer und beobachte die Leute an den anderen Tischen, die auch in Daunenmänteln und mit Schals vor ihren Computern sitzen. Im Hotel stelle ich fest, dass das alles deutsche Autoren sind.
Zwei der Kollegen haben eine Badewanne im Hotelzimmer, und ich erwäge kurz, mit beiden eine Affäre zu beginnen, um in den Genuss warmen Wassers in größeren Mengen zu kommen.
In den Kneipen sind Getränke wie Grog oder Glühwein leider unbekannt. Vielleicht einen spritzigen Weißwein, die Dame? Das Wärmste, was ich einmal serviert bekomme, ist ein winziges Schnapsglas voller schleimiger hellbrauner Flüssigkeit – „ein Gruß aus der Küche“. Schmeckt nach Pilzen.
Nachts friere ich so sehr, dass ich schließlich einen lebensgroßen Stoffbraunbären kaufe, den ich mit ins Bett nehme. Ich nehme ihn auch mit in die Kneipen, um seine Pfoten um mich zu wickeln. Wenn man Kinder hat, kann man ja sagen, der Bär wäre ein Mitbringsel.
Und schließlich fahre ich, samt Bär, nach Hause. „In Deutschland ist es übrigens noch kälter als in der Schweiz“, sagt mein Mann am Telefon. Na, ich werde zuerst eine Woche bei meinen Eltern verbringen, die haben überall Fußbodenheizung.
„Hatten“, sagt mein Vater, als er mich vom Bahnhof abholt. „In dem Zimmer, in dem Du schläfst, ist sie leider ausgefallen … da sind es jetzt nur noch 15 Grad … minus …“