Leben ist die halbe Ordnung

Ich räume auf.
Das ist nichts Besonderes, ich räume ständig auf, aber heute räume ich richtig auf, denn wir erwarten hohen Besuch.
Wir begreifen nicht, sagen die Reporter immer, wie Sie all diese Dinge tun, Frau M. Die Bücher und die Kinder und das Theater und die Förderkinder … Irgendwas muss doch auf der Strecke bleiben! Und auf der Strecke bleibt … na? Erraten. Der Haushalt.
Wir leben in einem stetig wachsenden Universum aus winzigen und winzigsten Plastikspielzeugpartikeln, Holzpuppen, gesammelten Steinen, Muscheln, Federn, Puppen, Stofftieren und Ausmalbüchern, das ich dauernd an einer Ecke wegräume, während sie an einer anderen wieder hervorgekrochen kommen.
Eine gute Hausfrau würde diese Dinge endgültig in ihre Schranken weisen, in den Ecken Staub wischen, die Spinnen einsaugen und die Kinder ins Kinderzimmer stecken. Ich selbst bin, was Spinnen angeht, Pazifist – und was Ordnung angeht, Entropist. Aber heute
räume ich auf.
Der hohe Besuch, der kommt, ist der Pfarrer, denn die kleinste Katastrophe im Haus soll nach über einem Jahr endlich getauft werden. Früher ging es nicht, da unserer Pfarrer verschwand und der neue Pfarrer in Südafrika verschollen war. Jetzt ist der Neue da, aber angeblich im Urlaub.
„Was TUST du mit diesen Pfarrern?“, fragte mein Mann. „Verbummelst du sie in Spielzeugkisten?“ Und dann grub irgendwo einen Leihpfarrer aus.
Für den ich nun also aufräume.
Mein Mann sagt, die Kinder müssen getauft werden, damit sie später nicht zu fromm werden. Es wäre besser, meint er, sie hätten etwas, gegen das sie rebellieren könnten und würden dann brav mit 18 aus der Kirche austreten.
Aber wenn wir es gleich bleiben ließen, nicht wahr, dann müsste ich doch nicht aufräumen …?
Unter dem Tisch finde ich eine Sammlung von Gewürzdosen, mit denen Lintje besonders gerne spielt, die aber, da sie auch besonders gerne mit ihrem Essen wirft, in einer Art zäher Masse aus Staub, Kartoffelbrei und Wurststückchen festkleben.
Im Wohnzimmer stolpere ich über ungefähr dreihundert Murmeln. Zum Glück sind im Boden Astlöcher, da fallen ab und zu ein paar Murmeln rein und bleiben verschollen. Ich räume die Murmeln in den Kochtopf, in dem sie wohnen, klebe die Gewürzdosen ins Gewürzregal zwischen Alvas vertrocknete Blumenketten und ihre Schnipselkunstwerke und …
„Mama!“, kräht Lintje triumphierend und kippt die Flurkiste aus, in der die Theaterrequisiten der letzten drei Stücke liegen.
„Ich mache Kunst“, sagt Alva, öffnet all ihre Filzstifte und beginnt, den Fußboden anzumalen.
„Antonia“, sagt mein Förderkind an der Tür, „kannst du mir mal eben was ausdrucken …?“
„NEIN!“, schreie ich. „Der Drucker hat seit gestern einen unlöschbaren Durckbefehl für 200 Seiten Manuskript, die ich gar nicht drucken wollte, und ich RÄUME AUF!“
Lintje kegelt jmit den Katzenfutterdosen. Alva baut der Katze aus ihren Prinzessinnenzeitschriften und der Tischdecke ein Nest unter der Eckbank, stößt dabei ihr Saftglas um, wischt aber geistesgegenwärtig den Fleck mit einem Stapel frischer Wäsche weg. Lintje verlegt ihren Arbeitsplatz in die Küche und mischt die Katzenstreu aus dem Katzenklo mit den Brekkis.
Ach ja, die Katze. Die ist neu, schwarz, handtellergroß und heißt, sagt Alva, Zopf.
Sie räumt auch gerne auf.
Jetzt zum Beispiel, jetzt räumt sie die Eckbank auf, in dem sie die Decke und alle Kisten herunterzieht. Danach nimmt sie sich den Tisch vor. Dort hatte ich ein paar Gläser mit Wasser hingestellt, für die Pfarrer-Besprechung. Klirrrr!
Alva hat der Katze draußen im Sandkasten ein Abendessen gekocht und bringt es herein, um es auf dem Boden hübsch mit Blütenblättern und Glasstückchen anzurichten.
Da klingelt es. In kurzer Abfolge kommen mein Mann und der Pfarrer herein.
„Das, was da draußen dran steht“, sagt der Pfarrer, „äh … ist das der Name Ihres Hauses? Ich kenne ja einige Häuser mit Namen, hier auf den Inseln … Haus Meerblick, Haus Rosalinde, Haus Weiße Düne … aber dieses hier heißt … Haus SCHERBENSAND.“
„Ja“, sage ich schlicht.
Der Pfarrer zieht jetzt makellose schwarze Birkenstocks an, und der Kater Zopf wetzt freudig seine Krallen … „Nein!“, sage ich, worauf hin Zopf beleidigt an der Wand hochgeht. Senkrecht. Das ist der Nachteil von Wandteppichen. Der Kater wird jetzt wohl ein bisschen Ordnung in die Deckenlampe bringen.
„Was haben Sie sich denn als Taufspruch überlegt?“, fragt der Pfarrer.
Lintje öffnet stolz die Ofenklappe und greift hinein, um ihm etwas von der Asche anzubieten.
„Bei diesem Kind dachte ich an: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, schlage ich vor.
Der Pfarrer überhört das und setzt sich auf einen Stuhl, auf dem ein altes Stück Rührei mit Ketschup klebt.
„Was machen Sie denn beide so?“, fragt er meinen Mann. „Beruflich?“
„Er ist Arzt“, antworte ich. „ICH räume auf.“