Die Nacht der gefangenen Bäume

Liebe Untere Naturschutzbehörde des Landkreises Vorpommern,
bis vor kurzem war ich der irrigen Ansicht, alte Alleen wären schützenswert. Zum Glück haben sie mich eines besseren belehrt: Deutschland muss endlich Alleen-frei werden!
Nach der Wende wurden bereits alle Kopfsteinpflasterstraßen hier mit dem hübschen West-Asphalt  übergossen, und nun wären sie bestens geeignet für den Lastwagenverkehr, wären die Bäume nicht.
Bisher wohnten wir in der Lindenallee 4. Wie viel klangvoller ist die Adresse Umgehungsstraße 4! Zur ästhetischen Angleichung werden wir, sobald die nötigen Fördergelder aus dem Westen eintreffen, unsere alte Reetdachkate in einen mehstöckigen Wohnblock umwandeln und aus dem Obstgarten einen Parkplatz machen.
Allein, wenn man bedenkt, wie viele Jugendliche sich nach der Disko betrunken an einem Alleebaum zu Tode fahren! Ganz klar: Die Bäume müssen weg.
Als ihre Abholzfahrzeuge in unserer Allee standen, war ich entsetzt, doch nun bin ich froh und glücklich. Unter dem Stichwort “Alleenpflege” haben Ihre Mitarbeiter auf kluge und umsichtige Art jeden dritten Baum auf der Hälfte gekappt und zum Glück oben nicht versiegelt, so dass nun Maden und Bakterien den Rest der Arbeit verrichten.
Günstig ist auch, dass die nicht gekappten Bäume jetzt mehr Wind abbekommen und ihre Äste von alleine brechen: Eine Gefahr für den Verkehr und ein weiterer Abholzungsgrund.
Zwar steht die Allee im Naturpark Usedom unter Denkmalschutz, aber wie Sie mir ja versicherten, gibt es für alles eine Sondergenehmigung. Ehe ich zur Einsicht kam, schlug ich vor, die Nachpflanzung junger Bäume zu bezahlen, doch Sie hatten recht damit, dies zu verbieten. Ihre Argumentation, Bäume würden sich an dieser Stelle sowieso unwohl fühlen, hat mich überzeugt. Wenn unsere Kleine groß ist, soll sie zwischen vorbeirasenden Autos spielen, nicht auf einer langweiligen Wiese!
Ich gebe zu, ich hatte damals gehofft, durch das Entfernen der orangen Punkte an den Stämmen einen Teil der Alle zu retten. Am nächsten Tag belauschte ich folgendes Gespräch zweier ABMler: “Da warn doch Punkte dran wo wa wat fällen sollten! Jetzs sindse wech, welche fälln wa denn nu?” “Nich weiter wild, fälln wa eenfach alle, dann hat sich die Sache.”
In der Zeitung las ich, dass auch im Wald bei Zinnowitz ein Radikahlschlag erfolgte. Einige Spaziergänger störten sich daran, dass sie nun durch verwüstete Waldgebiete joggen mussten. Doch ich sage: recht so! Warum sollte die Entbaumung auf denkmalgeschützte Alleen beschränkt bleiben? Es mag Leute geben, die uns hier im Osten zwielichtiger politischer Gesinnung bezichtigen, aber im Grunde wollen wir für die Baumfrage doch alle eine Endlösung. Der Baum an sich stellt eine Bedrohung für das Deutsche Volk und seine Autos dar!
Angeblich schade es dem Tourismus, wenn wir unsere Natur zerstören. Bitte – was wollen wir überhaupt mit den Touristen? Weg mit den Bäumen, weg mit den Touristen! Vorpommern den Vorpommern! Wir wollen ganz alleine arbeitslos sein und nicht dabei gestört werden! Hauptsache, das Bier geht uns nicht aus.
Es erfüllt mich mit Stolz, von den Alleenpflegern die Meldung zu hören: “Auftrag erfüllt – Lindenallee in Bauer-Wehrland weg-gepflegt!”
Liebe Untere Naturschutzbehörde! Frohen Herzens gestehe ich, die verbleibenden drei heilen Bäume unserer Allee angesägt zu haben. Ich kann wirklich nichts dafür, dass sie zufällig auf drei Ihrer Mitarbeiter gefallen sind, die dort vorbeigingen.