Einmal übern´n Teich

Ich fahre also nach Amerika zu einer Bibliothekskonferenz. Für vier Tage. Zwei davon werde ich im Flugzeug verbringen …
„Wusstest du eigentlich“, fragt meine Mutter, „dass du ein ESPA-Formular für die Einreise ausfüllen musst? Die Bearbeitung des Antrags dauert mindestens drei Tage …“
Bis zu meinem Flug sind es noch zwei. Schweißgebadet fülle ich spät nachts Formulare im Internet aus, gebe meine Passnummer, die Passnummer des Verlagsleiters, die Passnummer der Katze des Verlagsleiters und die der Kinder der Katze des … o Wunder! Ich erhalte eine elektronische Bestätigung, dass ich einreisen darf. (hoffentlich auch wieder aus).Glücklich drucke ich das Dokument. Meine Mutter hatte sich geirrt, die Bearbeitung des Antrags dauerte nicht drei Tage, sondern drei Minuten.
„In Amerika sind sie alle overdressed!“, sagt mein Vater. „Hast du dein Abendkleid eingepackt?“ Abendkleid? Ich habe nicht mal einen Morgenrock. Meine Mutter seufzt und beginnt, meine Kordhosen zu bügeln. Sie bügelt die Unterhosen, die Schuhe – am Ende bügelt sie das ESPA-Formular.
Dann versuche ich, mein e-Ticket abzuholen. „Tja“, sagt der BA-Beamte, „Sie haben keinen gültigen ESPA-Antrag“. Oje. Liegt es daran, dass er gebügelt wurde? „Nein“, sagt er, „es muss daran liegen, dass sie schon mal wegen eines Kapitalverbrechens aus den USA ausgewiesen wurden.“ Hm. Eine Erinnerungslücke? Ein Computerfehler? Ich soll mich bei meiner Ankunft in London direkt an das ESPA-office wenden. Bis London darf ich fliegen. Schade eigentlich, dass es in London gar kein ESPA-office gibt.
„Bitte, ich kann ja nachgucken, aber das wird sowieso nichts“, sagt eine ungehaltene Dame am Flugschalter.. „Was ist denn das für eine hässliche Passnummer? Soll das eine Null sein?“
„Ein O“, sage ich.
„Ach so“, sagt sie, „ja, dann geht es.“ Und auf einmal darf ich doch in die USA. Der Beamte in München hatte sich nur vertippt. Nullen scheinen zu den Dingen zu gehören, die man in die USA nicht einführen darf.
In Washington DC sind über 40 Grad. Man kann nicht behaupten, dass ich in in meinen Kordhosen friere. Der Herr an der Hotelrezeption lächelt breit. „Und nun habe ich eine Überraschung für sie, gratis“, sagt er, greift unter den Tisch und überreicht mir – wirklich! – einen warmen Keks.
Aber! Im voll klimatisierten Hotelrestaurant hängen beim Verlagsessen Eiszapfen von den Kerzenleuchtern. Die Amerikaner tragen alle kurze Kleider und zittern. Ich freue mich über die Kordhosen und wärme meine Hände an dem Keks in meiner Tasche.
Der nächsten Tag soll in einem ähnlich kalten Konferenzcenter stattfinden. Der Keks ist abgekühlt. Ich denke an meine Mutter und lasse ihn vom Hotel einfach wieder aufbügeln. Sodann begebe ich mich mit dreißig anderen Autoren in einen Saal voller runder Tische, an denen je eine Gruppe von Bibliothekaren sitzt. Eine nicht ganz schlanke Dame in einem wallenden weißen Hemd – aber ohne Hosen – erklärt uns, wir dürften je vier Minuten an einem Tisch über unsere Bücher sprechen, dann würde sie in eine Trillerpfeife blasen und jeder Autor müsste zum nächsten Tisch gehen. Meine Lektorin und ich hetzen also von Tisch zu Tisch, aber am Ende ist uns nicht klar, wer das Spiel gewonnen hat. Ich glaube, die Dame ohne Hose. Ich schenke ihr als Preis den aufgebügelten Keks.
Das zweite wichtige Event ist eine Lesung, die ich während eines offiziellen Mittagessens halten darf. Zum Lesen ist eine halbe Stunde Zeit. Für sechs Autoren zusammen. Viel interessanter als meine Dreiminutenlesung ist aber das Buffet in dem sehr feinen Restaurant. Es besteht aus Toastbrot, Scheibenkäse, kahlen Salatblättern und Wurst. Die fein angezogenen Bibliothekare machen sich große Sandwiches und essen sie in Hand. Irgendwie … lässig.
Den Rest der Zeit verbringe ich damit, in unterkühlten Räumen Preisverleihungen und Dankesreden beizuwohnen. Die Amerikaner bedanken sich grundsätzlich beim Verlagsleiter, der Katze des Verlagsleiters, den Kindern der Katze des Verlagsleiters … Zwischendurch gibt es draußen Kaffee mit Magermilch. Auch das Essen ist kalorienreduziert, und daher beschließe ich, auf einem Stadtbummel ausführlich ungesundes und fetthaltiges Essen zu mir zu nehmen. Das Problem ist: Es gibt keine Geschäfte, in denen man es kaufen kann. Es gibt überhaupt keine Geschäfte. Ich hechle in der Hitze lange, gerade Häuserfassaden entlang. Auf der Karte sieht alles ganz nah aus, bis zum weißen Haus ist es bloß die Straße runter … nur dass die Straße sieben Kilometer lang ist. Schließlich finde ich ein Starbucks und hechte hinein, um den schweren, süßen, amerikanischen Kuchen zu essen, den es bei uns im Starbucks gibt.
Im amerikanischen Starbucks gibt es Gesundheitstee und Vollkorn-Muffins mit Karottengelee.
Übrigens ist in DC alles rechtwinkelig. In den europäischen Städten, sagt meine Lektorin, verläuft man sich ja so leicht, in diesen verwinkelten alten Gassen und Gässchen … ich verlaufe mich in DC SOFORT. Das liegt am Mangel an verwinkeltes Gässchen, deren Aussehen ich mir merken könnte. In Washington sieht alles gleich aus. „Aber die Straßen haben doch Nummer“, sagt meine Lektorin, als ich Stunden später zum Hotel zurückfinde.
„Nummern?“, frage ich betreten. „Ach so …“
Bibliothekare in Amerika sind ebenfalls ganz anders als in Deutschland. Sie brüllen laute Parolen, hopsen in roten T-Shirts vor dem Capitol auf und ab und haben eine Menge Spaß. Ich stelle mir vor, wie sich sämtliche Bibliothekare Deutschlands vor dem Reichstag versammeln und kampfeslustig ihre Brillen schwingen …
Die Autorin, die die lauteste Rede hält, schreibt Bücher, die wegen der nicht jugendfreien Szenen aus vielen Bibliotheken „verbannt“ sind. „Wohin denn verbannt?“, erkundige ich mich.
„Oh, in eine besondere Ecke der Bibliothek“, erklärt mir meine Lektorin. Na, das ist doch mal ein praktisches System für Teenies! Da wissen sie gleich, wo sie suchen müssen!
Schließlich fliege ich zurück, in meinen nicht mehr gebügelten Kordhosen. Der acht-Stunden-Zeit-Unterschied schlägt erst jetzt zu: Seit ich in Amerika war, kann ich nachts nicht mehr schlafen. Sagen Sie es nicht weiter, aber ich stehe jetzt um Mitternacht immer heimlich auf, belege ein Toastbrot mit einem kahlen Salatblatt, trinke ein Glas Magermilch, gehe hinaus auf die Wiese und halte ausführliche Dankesreden …